Absinth-Analytik

Ein aktuell ziemlich heftig und kontrovers diskutiertes Thema ist die legale Rückkehr von Absinth, einem likörähnlichen, hochprozentigen Getränk, das aus Anis, Fenchel und Wermutkraut gewonnen wird (Deutsches Ärzteblatt 98, Ausgabe 42 v. 19.10.2001, S. 2716). Durch die Art der Zubereitung - ethanolischer Auszug - wird aus dem Wermutkraut neben anderen Inhaltsstoffen Thujon extrahiert, das als Nervengift gilt. Wegen der damit verbundenen Sucht-Gefahren war das Getränk seit 1923 in Deutschland verboten. Nach neuem EU-Recht ist jedoch die Herstellung von Absinth nach historischem Rezept wieder erlaubt; abhängig vom Alkoholgehalt gelten dabei jedoch strenge Grenzwerte für den Gehalt an Thujon. Es wird jedoch verschiedentlich von z.T. kräftigen Überschreitungen dieser Grenzwerte berichtet und vor dem Genuss gewarnt.

Allerdings wird die Diskussion sehr stark historisch gefärbt bzw. mit Mythen und Anekdoten geführt, statt mit modernen analytischen Fakten und neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen, was auch Ian Hutton in seinem Artikel bemängelt. Er liefert zwar einige Thujon-Werte, aber auch keine umfassende analytische Untersuchung. Auf einer anderen Internetseite wird von Don Walsh sogar behauptet, Pastis und Martini seien Verwandte des Absinth und enthielten auch Thujon. Eine deutsche Übersichtsarbeit, u.a. auch mit den gesetzlichen Grundlagen und Höchstkonzentrationen gibt es von Wolfgang Huckenbeck (Uni Düsseldorf). Mit der Toxizität von Thujon und der Wirkung auf bestimmte Rezeptoren beschäftigen sich Casida et al., die allerdings mit den reinen Substanzen (Standards) gearbeitet haben. Es stellt sich aber nach wie vor die Frage, wieviel Thujon in verschiedenen Absinthen wirklich enthalten ist. Eine erste kleine Übersicht liefert eine Untersuchung des CVUA Karlsruhe, mit der Optimierung der Probenvorbereitung von Absinthproben für die GC/MS beschäftigen sich Kröner et. al. in einer aktuellen Arbeit 2003.

In einer Voruntersuchung, die bislang an dieser Stelle zu finden war, wurden im Jahr 2002 drei Absinthe mit GC/MS untersucht, und dabei nur in einem Muster (Ulex) Spuren von Thujon gefunden. Dem schloss sich jetzt eine systematische Untersuchung von 16 Absinthen bzw. verwandten Getränken an; die meisten Proben stammen aus der Sammlung von Roman Gundacker. Die Untersuchungen wurden mit Gaschromatographie (GC) sowie deren Kopplung mit Massenspektrometrie (GC/MS) durchgeführt, unter besonderer Berücksichtigung der Isomeren von Thujon, alpha- und beta-Thujon. Denn nur alpha-Thujon steht im Verdacht nerventoxisch zu sein, Wermutkraut (Artemisia absinthium) enthält aber beide Isomere, die jedoch schwer zu trennen sind.

Dass Wermutkraut beide Thujone enthält und sich diese bei Wasserdampf-Destillation oder ethanolischem Extrahieren herauslösen, war das erste nicht sehr überraschende Ergebnis. Der Wermutextrakt für Martini wird mit Wasser hergestellt und kann demgemäss eigentlich kein Thujon enthalten, da dieses nicht wasserlöslich ist. Die Substanz, die zunächst für beta-Thujon gehalten wurde, stellte sich im GC/MS als Phenylethanol heraus; der hustensaftähnliche Geschmack von Martini rosso rührt von Thymol / Carvacrol her. In Tabelle 1 sind die Konzentrationen von Thujon und Anethol, das für den Anisgeschmack verantwortlich ist, für 16 untersuchte Spirituosen aufgeführt. Dabei fällt auf, dass einige hohe positive Befunde nach Messung im MS revidiert werden mussten. Neben der schwierigen chromatographischen Trennung ist zusätzlich eine Identifizierung mit MS notwendig, am besten vergleichend mit dem technischen Thujon-Standard von Fluka, der neben alpha- auch beta-Thujon sowie L-Fenchon enthält. In der klassischen GC täuscht der standardmässig eingesetzte, universelle Flammenionisationsdetektor (FID) nämlich manchmal etwas vor, was sich im MS später nicht bestätigen lässt.

Tabelle 1: Konzentration von Thujon und Anethol in verschiedenen Absinthgetränken, Werte in Klammer nach Korrektur durch GC/MS.

Die Farben in der Tabelle stehen gleichzeitig für eine Klassifizierung der Getränke, blau für "Analytical Fakes", Fälle, die einen positiven, womöglich sogar hohen alpha-Thujonbefund im GC ergeben, diesen durch Aufstockung scheinbar noch bestätigen, im MS aber negativ sind (Abb. 1-3).

Abb. 1: GC der Probe 110 (Candela), Peaks bei den Retentionszeiten von alpha- und beta-Thujon.

Abb. 2: GC der mit alpha-Thujon aufgestockten Probe 110. Die Aufstockung scheint die Anwesenheit von alpha-Thujon zu bestätigen.

Abb. 3: Total Ionen Chromatogramm (TIC) im GC/MS: Kein alpha-Thujon vorhanden, beta-Thujon bestätigt.

Der grosse Peak nahe alpha-Thujon ist ein strukturverwandtes, bislang unbekanntes Terpen, dessen Identität momentan noch unklar ist. Das Massenspektrum liegt vor, die Identifizierung läuft. Davor eluiert Fenchon, das ist verifiziert. Das Signal im GC zur Retentionszeit von alpha-Thujon wird somit von einer anderen Substanz verursacht und täuscht einen falsch positiven Wert vor, selbst in der Aufstockung nicht erkennbar.

Einen positiven Befund ergibt Probe 103 (Versinthe Blanche), wo alpha-Thujon im GC/MS bestätigt werden kann (Abb. 4-5).

Abb. 4: GC der Probe 103 (Versinthe Blanche), Peaks bei den Retentionszeiten von alpha- und beta-Thujon.

Abb. 5: GC/MS der Probe 103; alpha- und beta-Thujon werden bestätigt.

Allerdings ist auch hier die unbekannte Substanz in merklicher Konzentration vorhanden, und die Quantifizierung des alpha-Thujons mittels GC in Frage zu stellen. Es ist wahrscheinlicher, dass sich die Konzentration von alpha-Thujon in der Grössenordnung von beta-Thujon bewegt, also eher bei 5 statt bei 25 mg/l liegt. Das unbekannte Terpen findet sich in vielen weiteren Absinthen, u.a. auch im selbst hergestellten Wermutkraut-Destillat (neben Thujon) und in Probe 115 (Fuchs Absinth), wo schon in früheren Untersuchungen heraus kam, dass der Thujonpeak kein Thujon ist. Auch Probe 111 (Rote Fee Anis) enthält eine beträchtliche Konzentration davon, daneben noch Fenchon, aber kein Thujon (Abb. 6).

Abb. 6: GC der Probe 111 (Rote Fee Anis); kein Thujon, dafür das unbekannte Terpen und viel Fenchon.

Die in der Tabelle gelb codierten Proben sind unauffällig, enthalten wenig bis gar kein alpha-Thujon, in einem Fall (Probe 106, Francois Guy) eine merkliche Konzentration beta-Thujon, und Anethol in Konzentrationen von 400-1200 mg/l. Abgesehen von der Anetholkonzentration sind sie damit im analytischen Erscheinungsbild der GC einem Pastis sehr ähnlich. Der zum Vergleich mitgelaufene Pernod Anis (Pastis) hat mit 2500 mg/l eine deutlich höhere Anetholkonzentration, die nur vom Versinthe Blanche übertroffen wird (3200 mg/l).

Von diesem Bild weichen die grün codierten Proben 101 (Mata Hari) und 102 (Grüne Fee) ab, für die sich die Bezeichnung "Kamille-Absinthe" anbietet, wegen der Verwendung entsprechender Kräuter, was sich auch in einem typischen Sesquiterpenmuster gegen Ende des GC-Laufes ausdrückt (Abb. 7).

Abb. 7: GC der Probe 101 (Mata Hari); sehr wenig alpha-, etwas beta-Thujon, kein Anethol (eventuell Umbellulol), da auch kein Anis verwendet; prägnantes Sesquiterpenmuster zwischen 38 und 44 min. (rührt von Kamille her).

Zusammenfassend lässt sich sagen, in keinem der untersuchten Absinthe fand sich eine gefährlich hohe Konzentration (> 35 mg/l) Thujon, weder alpha- noch beta-Isomeres. Die vereinzelt in der GC gemessenen hohen Werte konnten nach GC/MS nicht bestätigt werden, auch beim Versinthe Blanche liegt der alpha-Thujonwert nach Korrektur niedrig. In der GC wird alpha-Thujon von einer anderen Substanz vorgetäuscht, trotz Verwendung einer hochauflösenden 30m-Kapillarsäule und Aufstockung. Momentan ist die Identität der Substanz noch unklar. Das Massenspektrum liegt jedoch vor und wird zusammen mit den Protokollen für die Probenvorbereitung und den analytischen Messbedingungen in einer wissenschaftlichen Arbeit publiziert, die demnächst eingereicht wird. Über das Journal und die Annahme wird zu gegebener Zeit hier berichtet.

Im Namen des Autorenteams

Joachim Emmert, 28.10.2003

 

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